Am heutigen Freitag debattierte die SPD-Bundestagsfraktion im Rahmen ihrer großen Klausurtagung in Mainz. Die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik stand dabei als eines von vielen großen Themen auf der Agenda. Der rheinhessische Bundestagsabgeordnete Marcus Held unterstützt in dieser Debatte die Haltung des Seeheimer Kreises innerhalb der SPD, welche sich in einem Forderungspapier niederschlägt und an dieser Stelle nachzulesen ist:

Noch nie hat Deutschland so viele Flüchtlinge aufgenommen wie in diesem Jahr, noch nie sind so viele Menschen auf der Suche nach Schutz und Zukunft in unser Land gekommen. Überall erbringen unsere Städte und Kommunen enorme Leistungen, um die Erstunterbringung, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen zu gewährleisten. Vereine, Initiativen und einzelne Bürgerinnen und Bürger leisten einen unglaublichen Einsatz, um die Ankommenden mit offenen Armen zu empfangen und ihnen hilfsbereit beiseite zu stehen. Darauf können wir stolz sein. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten, und so sehen wir uns vielerorts mit Ressentiments konfrontiert, die wir lange überwunden glaubten. Unter dem Deckmantel des ‚besorgten Bürgers‘ organisieren Rechtsextreme Aktionen gegen die Aufnahme oder Unterbringung von Flüchtlingen, im Internet findet eine oft ekelerregende Hetze statt und selbst vor schwerstkriminellen Handlungen wie dem Anzünden von geplanten Unterkünften gibt es kein Halt. Hier gilt es, mit aller Kraft gegen zu halten und jeglicher Form von Fremdenhass und Gewalt offensiv zu begegnen. Die Gesellschaft, die Politik und auch die Justiz sind gleichermaßen gefordert, Rassismus und Menschenverachtung keinen Raum zu lassen.

Dennoch dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, was all dies für unser Land und un-sere Gesellschaft bedeutet. Neben vielen unberechtigten Ängsten und Vorurteilen wirkt sich die Unterbringung von Flüchtlingen bereits heute an vielen Orten deutlich auf den Alltag der Anwohnerinnen und Anwohner aus. Von der fehlenden Turnhalle über den besetzten Kita-Platz oder das überfüllte Wartezimmer beim Allgemeinarzt – bei weitem nicht alles, was einem an Äußerungen und Sorgen entgegenschlägt und zu einer ablehnenden Haltung führt ist Fremdenhass. Oft sind es nachvollziehbare Sorgen und begründete Probleme der Bürgerinnen und Bürger vor Ort, über die man nicht einfach hinweg gehen darf. Hilfsbedürftige dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden; Integration darf nicht – auch nicht gefühlt – auf dem Rücken der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft ausgetragen werden – egal ob sie alt-eingesessen oder gerade hinzugekommen sind.

Es ist nun in erster Linie an der Politik, verträgliche Lösungen zu finden und die Probleme zu bewältigen. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass wir uns auf die Verantwortlichen vor Ort verlassen können und wir haben keinen Zweifel, dass Bund, Länder und Kommunen gemeinsam an einem Strang ziehen und pragmatische Lösungen finden werden.

Die SPD hat sich immer klar zu Offenheit und Integration bekannt und wird auch jetzt kein Stück von dieser Position abweichen. Unser Parteivorsitzender Sigmar Gabriel hat schnell Verantwortung übernommen. So hat er ebenso scharf wie richtig die geistigen Brandstifter und kriminellen Untaten verurteilt und sich persönlich durch eine klare Haltung und kluge Ideen, wie dem gemeinsam mit Frank-Walter Steinmeier veröffentlichten 10-Punkte-Plan für eine europäische Flüchtlingspolitik, ausgezeichnet. Auch die SPD-Bundestagsfraktion unter Thomas Oppermann hat die Zeichen der Zeit früh erkannt und bereits Anfang des Jahres ein Positionspapier für ein Einwanderungsgesetz vorgelegt. Gut so!

Aber damit ist es nicht getan. Angesichts der zunehmenden Verschärfung der Situation brauchen wir dringend eine gesellschaftliche Grundsatzdebatte über Deutschland als Einwanderungsland. Wir fordern die Gesellschaft im Allgemeinen und die Sozialdemokratie im Beson-deren dazu auf, eine Debatte darüber in Gang zu bringen, was die sehr hohen und vielleicht sogar noch weiter steigenden Zahlen von Menschen, die in der Hoffnung auf eine sichere und bessere Zukunft in den kommenden Jahren zu uns kommen, für unser Land bedeuten. Welche Effekte hat die Integration hunderttausender Hinzugekommener für das gesellschaftliche Zusammenleben in unserem Land, was bedeutet sie für unsere Wirtschafts- und Arbeitswelt, was für unser Bildungs- und Betreuungssystem? Welche Herausforderungen stellen sich mit Blick auf die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse? Welche Folgen haben die hohen Flüchtlings- und Einwanderungszahlen für das Leben in unseren Städten und ländlichen Regionen? Was bedeuten sie für die gefühlte und echte Sicherheit der Menschen? Wie lässt sich ein sicheres und respektvolles Zusammenleben der vielen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religionszugehörigkeit ermöglichen? Was ist zu tun, um unsere freiheitlichen und säkularen Grundsätze zu gewährleisten? Wie können wir Vertrauen erzeugen und die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen, wie können wir ihnen ihre Ängste nehmen? Wie können wir Asylsuchende entstigmatisieren und Chancen durch Einwanderung erkennen und eröffnen? Wie lässt sich zivilgesellschaftliches Engagement fördern, ohne es zu überfordern? Was braucht es für mehr Humanität, Offenheit und Toleranz?

Wir Sozialdemokraten waren schon immer diejenigen, die die großen gesellschaftlichen Debatten angestoßen und damit die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gewährleistet haben – ein Anspruch, den wir auch jetzt nicht aufgeben dürfen. Angesichts der gewaltigen Herausforderungen, vor denen wir jetzt und in den kommenden Jahren stehen, wollen wir uns nicht hinter dem Prinzip Hoffnung verstecken sondern einen Prozess anstoßen und die Menschen mitnehmen.

Wir fordern deshalb dazu auf, offen darüber zu diskutieren, was Zuwanderung an Chancen und Veränderungen mit sich bringt, aber auch an Anstrengungen und Schwierigkeiten für un-sere Gesellschaft. Nur so kann es uns gelingen, die realen Probleme in den Blick zu nehmen und die Herausforderung gemeinsam zu bewältigen.

Quelle: SPD-Bundestagsfraktion